23 Dezember 2005

Über den Zynismus

Wie schützt man sich vor dem staatstragenden Umschlingungspathos der Marke „seit umschlungen Millionen“, gerade in der Denk-, Dank-, Gedenkzeit? Es könnte ja passieren, daß die ganze Veranstaltung langsam, wie ein Schokoladeneis in der Sommerhitze, zu schmelzen beginnt, und eine braun, graue klebrige Soße über die Hand und den Arm tropft. Eine ganze Staatinszenierung schmilzt langsam in sich zusammen, die stolzen Fassaden gleiten unten, die heiligen Farben der Nationalflagge diffundieren und mischen sich zu einem gräßlichen braun. Die einst festen und unabhängigen Einzelteile werden uniformiert und fließen einfach mit, ob sie nun wollen oder nicht. Auch das Pathos versucht das gleiche, alle Teilnehmer werden da umfaßt und mitgespült, wohin, das stellt sich erst im nachhinein heraus. Blumige Reden und ein opulentes Bühnenbild soll das innere Eis der Skeptiker zum schmelzen bringen und sie in die Gesamtheit eingliedern. Da fließen sie nun dahin, die ehemals Aufrechten. Der Verlauf des Bettes, den dieser Fluß zu nehmen gedenkt, ist keinem bekannt. Es gibt kein Entrinnen, so scheint es.
Oh doch! Es gibt zwei Möglichkeiten. Man wählt die Flucht in die Berge die da möglichst hoch genug sind, damit einem der Strom nicht erreichen kann, oder aber man verweigert dich dem ganzen Schauspiel durch Zynismus. Die erste Variante hat den Vorteil, daß man im Grunde so bleiben kann wie man will. Man muß sich keiner Selbsterziehung unterwerfen. Gleichzeitig aber verläßt man die Zivilisation, den Ort des Geschehens neben der anderen Unannehmlichkeit wie der Verlust von fließendem Wasser und Eisdielen, gibt keine Möglichkeiten der Einflußnahme mehr. Außer man beschließt zum Rufer in der Wüste, respektive zum Alten vom Berge zu mutieren, da bleibt die Möglichkeit der Einflußnahme zumindest indirekt vorhanden. So jetzt sind wir nun am Berg, das Pathos haben wir Gottseidank hinter uns gelassen, wir widmen uns munter und zufrieden der angewandten Schafzucht oder der hohen Wissenschaft der Bergkäserei. Die Glocken der Kühe, Schafe und Kirchen im Tal bimmeln, das Gras steht im Saftgrün des Frühlings, alles eitel Wonne. Am Horizont, dort hinten am Almboden tauchen zwei Punkte auf, die langsam aber stetig größer werden, sie stellen sich als Touristen heraus, die sich mit den Worten vorstellen, „schau Helga, es gibt sie noch, die Almromatik mit ihren einfachen, glücklichen Bewohnern. Die habens gut“. Nein, aus, das ist auch nicht der Weg.
Bleibt nur mehr der Zynismus, auf die Gefahr hin, als Defätist und Zerstörer verunglimpft zu werden. Der Zyniker - der griechische Hund (Kynikos griech. Hund) bellt und kläfft zurück, wenn man ihn getreten hat. Eine Verstellung ist in diesem Fall unumgänglich, niemand wird zum Hund geboren, und kann permanent in diesem Zustand leben, so wohlschmeckend sind zerkaute Knochen nun auch wieder nicht. Aber er ist der Fels im Bachbett, der den Schwung des Stromes bremst. Nun ist es so, wird eine Flüssigkeit gebremst, kühlt sie ab. Je langsamer sie fließt, desto kühler ist sie, an einem bestimmten Punkt erstarrt sie wieder. Das heißt die Zynikerfelsen können einen Pathosstrom zum erliegen bringen, wenn sie denn genügend zahlreich auftreten, das ist ein gehöriges Maß an Einflußnahme. Mit Fug und Recht läßt sich behaupten, es zahlt sich in solchen Fällen aus zynisch zu reagieren, sei es aus Selbstschutz und damit aus Eigennutz , sei es aber auch aus Schutz der Masse vor sich selbst, hier gefällt der idealistische Ansatz. Dummerweise wird aber der Zynismus zur Berufskrankheit, und bremst ausnahmslos alles ein, was im so entgegenströmt, eben auch notwendige humane Gefühlszustände, die er eigentlich selber haben wollte, wie Verliebtsein, Optimismus und Selbstvertrauen. Jetzt richtet sich die Verteidigungswaffe gegen den Besitzer und bremst ihn selber ein, der Hund beißt sich in sein eigene Bein und kann nur mehr hinken. Der Zyniker versteinert in seinem Flußbett, er reagiert nur mehr, er verteidigt. Damit ist er das geworden, was er zu Beginn verhindern wollte, ein Teil der Flüssigkeit, ein Teil des Stromes, zwar nicht der aktiv fließende Teil, wohl aber der jener des notwendigen Hindernisses. Er kann nicht mehr weg, er ist darin gefangen.
Was nun, wieder zurück in die Berge? Damit dann wieder am Almboden zwei Punkte auftauchen, die …. Nein, so geht das nicht. Der springende Punkt ist, wie erkennt der Zyniker, ab wann sich die Waffe gegen ihn selbst richtet. Bremst den Hund, haltet ihn ein, hindert ihn, sich selber zu verspeisen. Was soll man tun. Zum Stoiker sich bekehrten, jene noblen Damen und Herren die sich ganz aristokratisch nicht mehr äußern, denen alle Vorgänge jenseits des Ereignishorizontes Armlänge, Wurscht ist, in welche unser kynischer Hund geifernd beißen will. Hmm. Auch diese Haltung hat etwas lebloses an sich, (Stoiker griech zur Säulenhalle gehörig); unerwarteter Weise sind wir wieder bei den Steinen angekommen, in der Säulenhalle zwar, aber auch aus Stein.
Jede größere zivile Ansammlung von Menschen, auch Städte genannt, verfügt über eine Behörde, deren Aufgabe darin besteht, streunende Hunde einzufangen und sie einem Tierheim zu überstellen. Für streunende Zyniker gibt eine derartige Einrichtung ebenfalls, herrschende Konvention genannt. Dahinter verbirgt sich eine Ansammlung auf niemals fixierten, ja niemals ausgesprochenen Regeln, die bei gewitterter Zuwiderhandlung zur Anwendung gebracht werden. Weder der Kodex ist verbindlich, noch die Vollzugsorgane, was dazu führt, daß jeder sich auserkoren fühlt, kraft des Kodex zu branntmarken, „Du bist ein Zyniker“. Wenn er eigentlich sagen will, du hast mich gebissen. Wie soll man nun, bei einer derartigen Sprachverwirrung noch zweifelsfrei feststellen, was schädlich zynisch, also gegen sich selbst gerichtet und was nützlich zynisch, also zur Selbstverteidigung ist. Mit netzen und anderem Gerät bewaffnet macht sich die Meute nun auf die Jagd nach den kynischen Hunden, sie vermutet sie in den Skeptikern, den Intellektuellen igitt, allein das Wort ist schon ekelig, all jenen, die nicht in dem pathetischen Jubelgeschrei einstimmen wollen. Mögen sie mich auch mit Ruten jagen, ich bin nicht in die Eishockeyserie B abgestiegen, wie der Sportreporter lamoryant anmerkte. „Wir sind nun in die Gruppe B abgestiegen.“ Auch bin ich nicht Papst geworden, wie unlängst die Bildzeitung vermutet hat. Und schon gar nicht habe ich die USA besiegt, wie ein Skireporter vergangenen Winter bemerkt hat, ich kenne nicht mal einen.
Man kann sich wohl nur selbst vor dem Zubeißen schützen, indem man höllisch (wie der Höllenhund Zerberus) aufpaßt, weswegen die beißenden Zynismen das zähnenbewehrte Maul verlassen. Man muß nicht unbedingt Boden Luft Raketen auf Papierflieger abschießen, gegenüber einzelnen Personen kann man sich auch anders behelfen, außer bei ausgesuchten Betonklötzen, Gemeinschafts- oder noch schlimmer Staatsdoktrinen aber verlangen nach verschärften Maßnahmen. Da hilft nichts andere, sonst ersaufen wir noch im Pathos, in der klebrigen Masse.

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