27 Februar 2006

über die hymnen

jetzt sind sie verklungen, die augenbefeuchter dieser welt. tausende taschentücher, vorzugsweise solche aus papier - die einschlägige industrie will ja auch am geschäft beteiligt sein - liegen weggeworfen im müll oder im schnee. schuld daran sind sie, die ständigen begleiter der diversen sportveranstaltungen oder staatlichen inszenierungen: die hymnen. relikte des 19. und 20. jahrhunderts. schlachtgesänge der unabhängigkeitsbestrebungen der nationen, der brennenden straßensperren und marschierenden bürgermilizen. sie, die meist marschiergerecht rhythmisiert sind, um den jungen idealisten den marsch in die auf sie harrenden flinten zu erleichtern, dienen heute dem einzug und der befeierung der sportlich tüchtigen nationalheroen.
da bleibt kein auge tränenleer, wenn sich die wackeren schiefahrer todesmutig die berghänge hinabstürzen, oder die bundgekleideten kicker in die vollbesätzten stadien einziehen. und dann der sieg, ja der sieg für das vaterland, mitsamt der fahne und, richtig, der hymne. und der sportler singt inbrünstig mit, das haupt ehrfürchtig zum flatternden symbol eben jenes vaterlandes erhoben, dem er seinem ursprung verdankt (also mit anderen worten, wo er aufgrund eines zufalls geboren oder gestrandet ist), den text der hymne wort für wort mitsingend, er inhaliert jedes einzelneder heiligen worte und spricht sie damit vor, stellvertretend für die jubelnde, jetzt sind wir endlich wer, masse, die zufällig denselben paß wie der sportler zu tragen beliebt.
wunschvorstellung? mitnichten. das real existierende traumbild eines jedem staatsmannes, besonders anfällig scheinen die herrschaften staatspräsidenten dafür zu sein, die nicht müde werden, ihre sportlerequipe vor beginn einer ebensolchen großveranstaltung auf die importanz des mitlispelns der hymne hinzuweisen. im konkreten fall war das der italienische staatspäsident ciampi, der sich über derartige bezeugungen des nationalstolzes besonders erfreuten wollte, fanden doch die olympischen spiele im eigenen land, in turin, staat. nun, ist es aber eine tatsache, das nur eine ausgesuchte handvoll von personen eines beliebigen staates den text der hymne auswendig mitsingen kann, einige mehr erkennen zumindest die melodie und verögen sie mitzusummen, wie ein unmotivierter bienenscharm. die sportler bilden hierbei keine ausnahme, warum sollten sie auch. ihr vorderrangiges ziel ist, einen sportlichen erfolg zu feiern und in der jeweiligen disziplin, in der sie antreten, bestenfalls zu gewinnen. da hilft eine stumme oder lauthalse intonation der nationalhymne wohl wenig.
und doch, falls sie es denn nun nicht können, folgt ein handfester skandal im eigenen land. da melden sich dann politiker der kategorie landesliga zu wort, die sich in ihrer nationalen ehre massiv verletzt fühlen. so geschehen ebenfalls in italien, als ein südtiroler doppelsitzrodler, also mithin ein italiener (oder doch nicht?), der die bronzemedalie errungen hatte, auf die frage, ob er denn den "inno di mamelli" gesungen hätte, falls er siegreich gewesen wäre, zur antwort gab, er kenne dieses lied nicht. das hat einen lokalpolitiker, interessanterweise der linken provenienz, derart echauffiert, daß er vom betreffenden sportler ernsthaft verlangte, er möge doch die medaille zurückgeben, die ihm die mannschaft des betreffenden staates ermöglicht hätte, da er die symbole des staates nicht anerkenne. nun, das ist starker tobak. man stelle sich das mal vor, jener politiker würde einen schritt weiter gehen und von allen seinen staatbürgern verlangen, die staatliche unterstützung erhalten, in einem aufrechten arbeitsverhältnis mit diesem stehen oder sonst mit den staatlichen autoritäten eine geschäftliche basis haben, diese müßten in der lage sein, die hymne singen zu können und dies bei abholung ihrer benefits auch tun. welch ein gejohle, welch ein gejackere. da fehlte nur noch eben jener hut, welcher die eidgenossen wutendbrannt dazubewogen hat, sich von der herrschaft der habsburger loszureißen, der gesslerhut. man könnte diesen vorgang des hutgrüßens, der modernen technik sei dank, ganz einfach überwachen, mit videokamera und mobiltelephon. einer begeht, wohl behütet und nichts ahnend, die schandtat und unterläßt das rituelle hutlüpfen vor dem hut, und prompt zieht die exekutive ihm den hut. weg mit dem gesindel, das schadet dem gesunden volkskörper. wer die autoritäten nicht gebürend anerkennt ist ein terrorist.
mir scheint, wir bewegen uns in richtung autoritäterer nationalistischer staaten, und das in, das sei an dieser stelle deutlich unterstrichen nicht im vielgescholtenem nahen osten, sondern hier bei uns in europa. allem europäischen einigungstendenzen zum trotz.

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